Deutschlands Innenstädte sind eine Problemzone: Die Straßen sind zu voll, die Geschäfte werden – aufgrund des Online-Handels – immer menschenleerer. Wir alle stöhnen über die Staus, die uns morgens auf dem Weg zur Arbeit Zeit und Nerven kosten. Gleichzeitig registrieren wir, dass immer mehr lokale Geschäfte ihre Pforten schließen. Die Ursachen für beides mögen unterschiedlich sein. Die Lösung kann jedoch Hand in Hand gehen: Das Start-up „incharge“, das an der ersten Runde des Ignition-Programms teilgenommen hat, hat ein solches Konzept entwickelt. Darüber erzählt Gründer Michael te Heesen im Interview und gibt außerdem Einblicke, wie etablierte Unternehmen erfolgreich Start-ups unter dem eigenen Dach ausgründen können.

1. Wie erklärst du einem Außenstehenden, was incharge macht?
Wir sorgen dafür, dass Einzelhändler nicht mehr täglich duzende Einzellieferungen von Waren bekommen, sondern nur noch eine - zu einer festen Uhrzeit, und nur das, was sie gerade wirklich brauchen. Dadurch wird das Tagesgeschäft nicht mehr dauernd unterbrochen und die Händler sparen Lagerraum und –kosten ein.

Ihre Waren werden in unsere Lager geliefert. Wir kümmern uns um eine stabile Eingangskontrolle und bieten außerdem eine grundsätzliche Lagerhaltung in Innenstadtnähe an. Wir können die Kunden der Einzelhändler noch am selben Tag mit Waren beliefern.

Unser Service bietet Vorteile für die Händler, die Zeit und Kosten sparen, aber auch für Düsseldorf, da deutlich weniger LKWs die Stadt anfahren müssen. Das bedeutet weniger Verkehr und weniger schädliche Emissionen. Die Same-Day-Lieferung wird mit emissionsfreien Elektromobilen durchgeführt.

2. Wie ist die Idee zu incharge entstanden?

In unserem Logistikunternehmen, der ABC-Logistik GmbH, greifen wir auf einen zwanzigjährigen Erfahrungsschatz in der Logistikbranche zurück. Wir beobachten seit langem: So wie der Lieferverkehr aktuell organisiert ist, ist es völliger Wahnsinn. Unzählige halb volle LKW fahren tagtäglich unkoordiniert durch die Innenstädte. Eine Studie von McKinsey aus dem Jahr 2012 hat ergeben, dass es in Düsseldorf ganze 8000 LKW sind, die allein zur Warenanlieferung die Innenstadt ansteuern. Da sind Transporter, die nichts mit Warenanlieferung zu tun haben, wie Baustellenfahrzeuge oder LKW, die die Stadt nur durchqueren, noch nicht einbezogen. Durch sinnvolle Maßnahmen lässt sich diese Zahl auf 2000 reduzieren. Wir von der ABC-Logistik wussten also: Das geht besser!

3. Was gab den Impuls, aus der Idee ein Start-up zu machen?
Mein Vater, Geschäftsführer der ABC-Logistik GmbH und ich, haben mit der Idee im Kopf an der Veranstaltung „Smart City 2020“ des digihub teilgenommen. Wir haben das von uns erkannte Problem dort vorgestellt und stießen auf großes Interesse. Drei weitere Teilnehmer haben uns dann dabei unterstützt, die Idee während der Veranstaltung weiterzuentwickeln. Das waren Bettina Maecker von der Stadt Düsseldorf, Ulrich Baltz und Eckhard Leifert, beides Marketing-Spezialisten. Anschließend haben wir unsere Ergebnisse beim Hackathon, am zweiten Tag von „Smart City 2020“ vorgestellt. Unsere Ideen kamen so gut an, dass wir den Hauptpreis, die Teilnahme am Ignition-Programm, gewonnen haben. Das war der Startschuss für incharge.

4. Was waren die wichtigsten Learnings, die du aus dem Ignition-Programm mitgenommen hast?
Incharge ist kein klassisches Start-up. Viele der im Ignition-Programm behandelten Inhalte richten sich an Gründer, die ganz von vorne anfangen. Da sind wir nicht die Zielgruppe. Allerdings hat uns das Programm geholfen, aus einer Idee ein marktfähiges Produkt zu entwickeln, mit dem wir auf unsere Kunden und die Stadt zugehen können. Wir konnten die Interessen der verschiedenen Gruppen ermitteln und in die Idee integrieren. Das Programm hat uns dafür die nötige Struktur geliefert.

5. Was waren die Gründe für die ABC-Logistik, ein Start-up auszugründen?
Im nächsten Jahr soll incharge eine eigene GmbH werden. Incharge steht für die Idee, dass die Logistikbranche hinterfragt werden muss. Ein erfahrener Logistiker, der Teil des aktuellen Systems ist, ist dafür am besten geeignet. Allerdings verfolgt incharge eine andere Motivation als die klassische Logistik, bei der es um Gewinnmaximierung geht. Hinter incharge steht ein Interessenverband, der zur Verbesserung der Situation für verschiedene Player beitragen will. Daher braucht die Idee eine eigene Marke, ein eigenes Erkennungssymbol, das nicht mit klassischer Logistik in Verbindung gebracht wird. Damit ist es auch einfacher, das Konzept für andere Städte zu übernehmen. Incharge ist flexibel und nicht an das zwanzig Jahre alte „Schlachtross“ ABC-Logistik gebunden. Dennoch braucht es für so einen „Umsturz“ Vertrauen, das wiederum durch Erfahrung aufgebaut wird. Daher ist die Verbindung zur ABC-Logistik essentiell für den Erfolg der Idee.

6. Welche besonderen Chancen und Herausforderungen bieten sich Start-ups, die aus einem etablierten Unternehmen heraus entstehen?
Der größte Vorteil ist, dass das erforderliche Netzwerk schon da ist: LKW, Lagerhallen, Personal für Vertrieb etc. nutzen wir von der ABC-Logistik. Natürlich verrechnen wir die Kosten. Außerdem haben wir durch das Mutterunternehmen eine Glaubwürdigkeit,die sich Start-ups erst erarbeiten müssen.

Die Herausforderung besteht darin, das Tagesgeschäft in der ABC-Logistik und incharge unter einen Hut zu bekommen. Man muss es schaffen, einen klaren Cut zu machen.

Hinzu kommt, dass Mittelständler im Gegensatz zu Start-ups deutlich weniger risikobereit sind. Man hat Jahrzehnte gearbeitet, um dahin zu kommen, wo man jetzt ist. Daher hat man sehr viel mehr zu verlieren.

7. Wie sehen die nächsten Schritte aus?

Im nächsten Schritt widmen wir uns vor allem dem Vertrieb. Wir gehen raus, sprechen Unternehmen in der Innenstadt an und versuchen sie für incharge zu gewinnen.

Außerdem möchten wir Anfang des nächsten Jahres eine eigene EDV-Lösung für incharge einführen. Gerade machen wir noch vieles händisch. Wir entwickeln eine Software, sodass bald alles automatisiert funktioniert.

8. Wie beurteilst du die Start-up-Szene in Düsseldorf und was wünschst du dir noch?

Wir haben die Perspektive eines mittelständischen Unternehmens auf die Start-up-Szene. Über die Start-up-Infrastruktur, wie sie Gründer benötigen, kann ich daher nicht viel sagen. Für Mittelständler sind Programme wie Ignition oder Institutionen wie der digihub sehr hilfreich, um in Kontakt mit Start-ups und Innovationen zu kommen. Da funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut.

9. Wenn du Start-ups und Gründern noch einen Tipp geben könntest, was wäre das?
Mein Rat an Gründer: Vermeidet zu große Detailverliebtheit. Man kann Monate und Jahre dafür aufwenden, um an seinem Produkt zu basteln. In der Regel führt das aber zu nichts. Wenn man eine gute Idee hat, sollte man damit im begrenzten Rahmen schon früh an den Markt gehen. Im Idealfall macht man so schon Umsatz, im schlimmsten Fall hat man „nur“ etwas gelernt. Der richtige Zeitpunkt: Wenn man nicht mehr weiß, was man tun soll, aber noch Angst hat, an den Markt zu gehen, sollte man an den Markt gehen – und nicht das dritte Mal die Logofarbe ändern oder ähnliches.

10. Welchen Rat kannst du mittelständischen Unternehmen geben, die sich mit den Herausforderungen der Digitalisierung konfrontiert sehen?
Meiner Erfahrung nach sollten mittelständische Unternehmen Digitalisierung nicht um jeden Preis erzwingen. Es ist wichtig, die Augen offen zu halten, mitzubekommen, welche Innovationen gerade vorangetrieben werden. Aber dann sollte hinterfragt werden, ob diese wirklich sinnvoll für das eigene Unternehmen sind. Man muss unterscheiden, was wirklich was bringt und was einfach nur schön anzusehen ist.

Ich empfehle, vor allem die Start-up-Szene im Auge zu behalten, da entstehen viele gute Ideen, gerade für die Logistik-Branche. Erscheint eine Idee sinnvoll, sollten Mittelständler auch mal mutiger sein und ein mögliches Risiko eingehen.

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